Mädchen und Mathematik!
Gendersensibler Unterricht: „Chancen für alle Geschlechter erweitern“
Genderforscherin Silvia Kronberger erklärt, worauf Lehrer und Lehrerinnen achten sollten, damit Mädchen in Mathematik nicht schlechter abschneiden.
Mädchen sind länger im Bildungssystem, studieren häufiger und schließen auch eher ab. Bei Mathematik und naturwissenschaftlichen Tests schneiden sie aber immer noch schlechter ab als Burschen. Das Bundesinstitut für Geschlechterpädagogik und -forschung an der Pädagogischen Hochschule Salzburg soll Lehrer für dieses Thema sensibilisieren. Wie stark ist das Bewusstsein dazu bereits ausgeprägt?
Kronberger: Es wird besser, aber nur sehr langsam. Es wird noch immer ein bisschen als Orchideenfach gesehen. Das Interesse steigt aber in Verbindung mit anderen Themen wie interkulturellen Fragen. Zum Beispiel gibt es Studien, die zeigen, dass Buben mit Migrationshintergrund und bildungsfernen Eltern die schlechtesten Bildungschancen haben, schlechter als die entsprechenden Mädchen. Das dürfte mit einem Männerbild zusammenhängen, in dem Bildung kein erstrebenswertes Ziel ist. In den Medien wird das Thema oft negativ und verkürzt dargestellt, zum Beispiel durch Polemiken zur geschlechtergerechten Sprache oder Debatten über die Töchter in der Bundeshymne. Das erzeugt zuerst einmal Widerstand, und man muss gegen oder, besser, mit diesem Widerstand arbeiten, um das Thema behandeln zu können.
STANDARD: Welche Länder sind hier vorbildlich, und wo steht Österreich?
Kronberger: Es sind immer die skandinavischen Länder, die da Vorbilder sind. Wir in Österreich sind aber in der Forschung und der Entwicklung sehr weit, auch in der Methodik und Didaktik, es hapert noch mit der Umsetzung in die Praxis. An der Pädagogischen Hochschule Salzburg betont auch das Rektorat die Bedeutung des Geschlechterthemas, und wenn das top-down behandelt wird, dann funktioniert es. Umgekehrt, und das ist leider sehr häufig der Fall: Wenn Einzelpersonen – meistens Frauen – dementsprechende Projekte initiieren, heißt es dann sehr schnell: Die schon wieder! Da kämpft man gegen Windmühlen.
STANDARD: Wie erklären Sie sich das unterschiedliche Abschneiden der Geschlechter in Naturwissenschaft und Mathematik?
Kronberger: Das beruht letztendlich auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, dass nämlich die Burschen besser in Mathematik und anderen Naturwissenschaften sind. Es ist eine alte pädagogische Erkenntnis, dass Menschen, denen mehr zugetraut wird, dann auch mehr können, auch weil sie mehr unterstützt werden. Das fängt schon in der Volksschule an. Im Bereich der Naturwissenschaften wird zum Beispiel bei Buben früher mit Fachtermini gearbeitet, während die Lehrerinnen und Lehrer den Mädchen naturwissenschaftliche Erkenntnisse in „einfachen“ Worten zu erklären versuchen. Alles gut gemeint in der Annahme, sie würden es dann leichter verstehen – wobei aber schon mitschwingt, dass es wohl für sie schwieriger ist –, aber das bringt den Buben von vornherein den Vorteil, dass sie mit den technischen Termini vertraut sind. Mädchen werden in den literarischen Fächern eher gefördert, weil man ihnen hier mehr zutraut.
STANDARD: Wie lassen sich solche Stereotype durchbrechen?
Kronberger: Das ist nicht leicht. An der PH Salzburg versuchen wir angehende Lehrerinnen und Lehrer dahingehend zu sensibilisieren und zu unterstützen, dass sie besonders in den Fächern, in denen es diesen Gender-Gap gibt – also zum Beispiel Mathematik –, so zu unterrichten lernen, dass auch die Kinder sich angesprochen fühlen, die dem Geschlechterstereotyp gemäß weniger Interesse dafür zeigen.
STANDARD: Wie kann ein geschlechtersensibler Unterricht in der Praxis ausschauen?
Kronberger: Wir haben im Rahmen des Werkunterrichts in der Volksschule ein Projekt durchgeführt, bei dem es unter anderem darum ging, einen Flugdrachen zu bauen. Den Burschen war es dabei besonders wichtig, dass das Ding auch fliegen kann, die Mädchen haben sich eher um das optische Erscheinungsbild gekümmert, was manchmal im Widerspruch zur Flugtauglichkeit stand. Die Frage war dann: Wie benotet man hier die Leistung? Soll das Fliegen oder die Ästhetik benotet werden? Man muss sich eigentlich bei jeder Aufgabe anschauen, inwieweit sie Geschlechterstereotype anspricht und verstärkt und inwieweit man dagegen wirken kann.
STANDARD: Warum ist das wichtig?
Kronberger: Beim Gender-Thema geht es nicht darum, etwas zu beschränken, es geht viel mehr darum, die Chancen und Möglichkeiten für alle Geschlechter zu erweitern. Nicht, dass man etwas nicht macht, nur weil es nicht zum Geschlechterstereotyp passt, eben zum Beispiel nicht Volksschullehrer wird oder nicht Mechatronikerin. Denn das hat nicht nur Auswirkungen auf das Individuum, sondern auch auf die Gesellschaft. Wenn Frauen als Gestalterinnen der Informationstechnologien fehlen, dann haben sie kaum Einfluss auf die Veränderungen der Lebenswelt durch diese Technologien, von denen sie aber gleichermaßen betroffen sind.
(Gudrun Ostermann, 30.7.2017) Silvia Kronberger (62) leitet das 2016 gegründete Bundesinstitut für Geschlechterpädagogik und -forschung an der Pädagogischen Hochschule Salzburg.
derstandard.at (2017-09-06, 22.41)
https://www.uibk.ac.at/projects/sommertechnikum-mint/ (2017-09-06, 22.41)