Tragen

Säuglinge sind keine „Nesthocker“ oder „Lieglinge“ – diese Meinung ignoriert die biologischen Grundbedürfnisse des Kindes und ist wissenschaftlich längst überholt. So weist z.B. Muttermilch den gleichen Fettgehalt auf wie bei Arten, die ihre Säuglinge tragen und ihnen dadurch jederzeit Zugang zur Muttermilch bieten. (Nesthocker bekommen Muttermilch mit viel höherem Fettgehalt, damit sie stundenlang zurückgelassen werden können, ohne zu hungern.) Ein weiteres „Indiz“ dafür, dass Menschenbabys „Traglinge“ sind, ist der Klammer-/Festhaltereflex, der aus der Urzeit übrig geblieben ist. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kinderwägen eingesetzt, die eine körperdistanzierte Kultur fördern.

Vorteile des Tragens allgemein

Durch häufiges Tragen wird das Baby nicht verwöhnt! Tragen befriedigt lediglich sein Urbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit und stärkt die Bindung zwischen den Eltern und ihrem Kind. Tragen ist keine Garantie für eine sichere Bindung, aber eine sehr gute Unterstützung!

Durch den intensiven Kontakt werden viele Babys – auch Frühchen, sogenannte Schreikinder und Blähkinder – beim Tragen ganz ruhig und entspannt; sie weinen weniger und sind in der Regel zufriedener. Außerdem wirkt sich das Tragen durch die Schulung des Gleichgewichts positiv auf die körperliche und geistige Entwicklung des Babys aus.

Eltern haben durch eine Tragehilfe ein oder zwei freie Hände für ältere Geschwister; sie können trotz intensiver Nähe zum Baby mobil sein und ihr Kind überallhin mitnehmen. Nicht zuletzt vermeiden sie „lange“ und schwere Arme wie beim Tragen des Babys ohne Tragehilfe.

Wann tragen?

Eine gute Tragehilfe kann ab dem Tag der Geburt verwendet werden, hier gibt es auch keine zeitliche Begrenzung pro Tag. Allerdings sollte alle zwei Stunden eine Unterbrechung – z.B. durch Stillen oder Wickeln – erfolgen.

Tragetücher können von Geburt an bis zum Alter von drei Jahren eingesetzt werden, Tragesäcke von Geburt an bis zum Alter von 24 Monaten, andere Tragehilfen nur bis zum Alter von neun Monaten, längstens bis zwei Jahre. Rückentragen bzw. Kraxen sollten erst dann verwendet werden, wenn das Baby stabil von selbst (!) sitzen kann, also ca. ab dem 9. Monat.

Tragehilfen aus orthopädischer Sicht

Sind die Beine nicht angehockt und gespreizt, sondern hängen ohne breiten Steg herunter, kann sich Tragen negativ auf die Entwicklung des kindlichen Skeletts auswirken. Ein breiter Steg muss von Kniekehle zu Kniekehle reichen, die Knie sollten sich mindestens in Höhe des Bauchnabels befinden. Weiters ist darauf zu achten, dass Rücken und Kopf gut gestützt sind.

Der angehockte Spreizsitz hat positive Auswirkung auf die Entwicklung der Hüfte – bei Hüftdisplasie ist das Tragetuch eine wunderbare Ergänzung zu anderen Therapiemaßnahmen. Ist das Tragetuch gut gebunden oder wird ein Tragesack verwendet, so wird der Oberschenkelkopf durch die gespreizte und angehockte Beinstellung ideal eingestellt und kann sich so gut in die Hüftgelenkpfanne einlegen.

Das Tragetuch

Ein gutes Tragetuch sollte aus reiner Baumwolle und frei von Schadstoffen sein. Der Stoff ist so gewebt, dass das Tuch diagonal dehnbar ist und sich somit dem Körper des Babys und dem der oder des Tragenden optimal anpassen kann. Die doppelt umgenähten Kanten des Tuches sind sehr strapazierfähig; Tücher in Kontrastfarben erleichtern das Finden der Kanten beim Binden.

Tragetücher gibt es in Längen von 2,5 m bis 5,4 m. Wichtig ist, dass das Tuch der Person, die am meisten trägt, optimal passt. Die benötigte Tuchlänge hängt hauptsächlich von den Tragetechniken ab, auch die Körpergröße spielt eine gewisse Rolle.

Durch die Stabilität des Tragetuches können teilweise Haus- und Gartenarbeiten mit dem Baby im Tuch erledigt werden, es nimmt wenig Platz weg und ist schnell griffbereit. Tragetücher sind vielseitig einsetzbar – als Hängematte für Babys und Kleinkinder, als Sonnenschutz im Auto und Kinderwagen, als Wickelunterlage, als Decke – und dadurch lange in Verwendung. Durch eine spezielle Bindetechnik (doppelte X-Trage) ist es auch möglich, Zwillinge zugleich im Tuch zu tragen!

Tragetechniken

Niemand wird als Tragetuch-Mama oder -Papa geboren – einige Versuche sind immer nötig! Nur nicht nach dem 1. oder 2. Mal aufgeben! Bei den ersten Versuchen ist es wichtig, dass das Baby ausgeschlafen, trocken und satt ist! Und man selbst sollte auch gut drauf sein und keinen Stress haben! Anfangs ist es eine große Hilfe, vor dem Spiegel zu binden und eine zweite Person um Unterstützung und Meinung zu bitten – das gibt Sicherheit!

Neues und Ungewohntes wird von Babys oft mit Weinen kommentiert. Dies bedeutet nicht, dass dem Baby das Tragen im Tragetuch nicht gefällt! Wichtig ist, dem Baby zu erklären, was man gerade macht – singen und wippen dabei wirkt auch oft Wunder.

Das Baby muss stramm im Tuch liegen oder sitzen, damit der Rücken durch das Tuch richtig gestützt wird. Der Rücken ist dabei leicht gerundet. Stramm genug heißt, dass man nicht mehr das Gefühl hat, das Baby mit den Händen stützen zu müssen. Die richtige Höhe ist die Kopfkusshöhe: Wenn man das Baby nicht mehr auf den Kopf küssen kann, hängt es zu weit unten. Ist es zu weit oben, sieht man nicht mehr gut drüber und der Nackenbereich kann sich verspannen.

Achtung: Viele Eltern glauben den Kindern etwas Gutes zu tun, wenn sie sie mit dem Gesicht nach vorn – in Laufrichtung – binden. Dies ist nicht zu empfehlen! So ist es nicht möglich, den Steg richtig breit zu ziehen, Rücken und Kopf werden wird nicht richtig abgestützt und durch die vielen Eindrücke kann es zu einer Reizüberflutung kommen.

Wichtig ist, das Baby nicht zu warm anzuziehen! Solange es unter der eigenen Jacke Platz findet, braucht es nicht mehr als zu Hause auch – plus warme Kopf- und Fußbekleidung. Keinesfalls einen Skianzug darunter anziehen! Im Sommer ist darauf zu achten, dass das Baby gut vor der Sonne geschützt ist – am besten durch lange Ärmel und Hosen, Socken und einen guten Sonnenhut, bei dem auch die Ohrenränder Schatten haben.

Bücher zum Tragen

Ein Baby will getragen sein/Kirkilionis Evelyn/Kösel 2002
Auf der Suche nach dem verlorenen Glück/Liedloff Jean/c.h.beck 19995
Ins Leben tragen/Manns und Schrader/Vwb 1999

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