Amok und Terror: Eltern sollten ihre Kinder vor verstörenden Bildern schützen – Reguläre Nachrichten seien für Kinder unter zehn Jahren nicht geeignet, sagt Medienexpertin München
Der Amoklauf von München, der mutmaßliche Selbstmordanschlag in Ansbach, die Terrorattentate von Nizza und zuletzt Würzburg – auch Kindern bleiben diese Ereignisse nicht verborgen. Für sie sind die Bilder und Berichte der Gewalttaten besonders belastend. Und viele Eltern fragen sich: Wie erklärt man Kindern Dinge, die man selbst kaum versteht?
Wie schafft man es, ihnen Ängste zu nehmen, wenn man selbst verunsichert ist?
Deutsche Expertinnen raten Eltern und Erziehungsberechtigten, ehrlich zu bleiben und kindlichen Ängsten und Fragen Raum zu geben.
Und: Bestimmte Inhalte sollten Kinder unter zehn Jahren am besten gar nicht erst zu Gesicht bekommen.
Größere Kinder von den Nachrichten gänzlich fernzuhalten ist in Zeiten von Gratismedien und Social Media freilich nicht möglich. Und es sei auch nicht sinnvoll, sagt die deutsche Psychologin Svenja Lüthge. Wichtig sei vielmehr, dass sich Eltern Zeit nehmen und mit den Kindern über die Zusammenhänge und Hintergründe sprechen.
„Die größte Angst der Kinder ist es, ob ihnen Ähnliches zustoßen kann.“ Diese Gefühle und Ängste sollten Kinder jederzeit artikulieren können.
Kristin Langer von der deutschen Medieninitiative „Schau hin“ hält nichts davon, dass Kinder unter zehn Jahren Nachrichten sehen, die für Erwachsene gemacht sind. Sie seien für Kinder in diesem Alter ungeeignet, weil die jungen Medienkonsumenten sie noch nicht verstehen, einordnen und verarbeiten können. „Ich rate Eltern, die Berichterstattung in jedem Fall zusammen mit ihren Kindern zu verfolgen und auf altersgerechte Formate zu achten“, so Langer.
Besondere Vorsicht ist bei Kindergartenkindern geboten: Sie sind noch nicht in der Lage, komplexe Ereignisse zu erfassen, die über ihren Lebensalltag hinausgehen. Vor allem auf jüngere Kinder können Bilder von Verletzten, von blutiger Kleidung oder verzweifelten Gesichtern eine verstörende Wirkung haben. Es sei daher wichtig, keine Zeitungen mit solchen Fotos zu Hause herumliegen lassen, falls man jüngere Kinder hat.
Trotzdem ehrlich bleiben Potenzielle Fragen von Kindern sollten Eltern aber ehrlich beantworten, so die deutschen Expertinnen. Etwa die Frage nach einer möglichen Bedrohung im eigenen Land: Darauf könne man etwa antworten, dass solche Gefahren auch „bei uns“ grundsätzlich bestehen. Die Eltern sollten dabei aber immer betonen, dass diese Bedrohung „so gering ist, dass wir uns nicht alltäglich Sorgen machen müssen“.
Unabhängig vom Alter des Kindes und von der Frage, wo es mit verstörenden Bildern und Berichten in Berührung kommt, gilt: Dem Kind sollte bewusstgemacht werden, dass es Angst haben darf und diese mit der Familie oder Freunden teilen kann, so Lüthge.
Langer betont, wie wichtig es ist, dem Kind Handlungsmöglichkeiten zu bieten und es aus dem Gefühl der Ohnmacht zu holen: Die Kinder könnten ihre Gefühle etwa in Briefen, Bildern oder Geschichten ausdrücken, eine Kerze entzünden oder etwas „Gutes tun“. „Kinder haben viele Ideen“, so Medienexpertin Langer, „vielleicht möchten sie Spielzeug oder Kleidung an Menschen verschenken, die sie nötig brauchen“, sagt Langer. Es gehe darum, „die Ohnmacht und Hilflosigkeit der Kinder aufzuheben“.
Eltern dürfen Angst haben! Eltern können dem Kind durchaus ihre eigenen Ängste mitteilen, sollten aber zugleich klarmachen, dass sie diese im Griff haben und Angst auch wieder vergeht. „Man darf Angst zugestehen, aber nicht den Alltag beherrschen lassen und zum Beispiel auf Kino- oder Restaurantbesuche verzichten – sonst hat man am Ende keine Lebenslust mehr“, sagt Lüthge.
(APA, lima, 26.7.2016) – derstandard.at/2000041783545/Amok-und-Terror-Eltern-in-Erklaerungsnot