Überparteiliche Plattform kämpft für Ethikunterricht für alle
Nach 20 Jahren Schulversuch macht sich eine zivilgesellschaftliche Initiative stark für Ethik als Pflichtfach für alle Kinder.
Religion sei Privatsache, Schule müsse Wissen vermitteln, nicht missionieren.
Zwei Jahrzehnte läuft der Schulversuch „Ethik als Pflichtgegenstand für SchülerInnen, die keinen Religionsunterricht besuchen“ in Österreich nun schon, und die politischen Mehrheitsverhältnisse sind so, dass Ethik wohl noch länger nicht ins Regelschulsystem übergeführt wird. Dabei wurde 2001 bereits eine wissenschaftliche Evaluation im Auftrag des Bildungsministeriums vorgelegt, die dem Schulversuch ein sehr positives Zeugnis ausstellte. Getan hat sich nichts.
Das soll sich ändern, wenn es nach Gerhard Engelmayer und seinen Mitstreitern geht, die sich in der Plattform Ethikunterricht für alle engagieren und weitere Unterstützer suchen. „Wenn die Regierung nicht regiert, dann muss eben die Zivilgesellschaft den Job machen“, sagt der Sprecher der Konfessionsfreien und der Humanistischen Gemeinschaft der Freidenker in Österreich im STANDARD-Gespräch. Pflichtfach für alle Ziel der von ihm mitinitiierten Plattform ist die Einführung des Unterrichtsfachs Ethik und Religionskunde als Pflichtgegenstand in allen Schulstufen, „am besten schon in adaptierter Form beginnend im Kindergarten“.
Unterstützt wird die überparteiliche Initiative unter anderen vom Autor der Evaluationsstudie des Ethik-Schulversuchs, dem Religionspädagogen Anton Bucher, dem grünen Bildungssprecher Harald Walser, der niederösterreichischen SPÖ-Landtagsabgeordneten Ilona Tröls-Holzweber und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. Die Gründe für das Fach Ethik liegen für Engelmayer auf der Hand: „Integration steht heute im Vordergrund, sie findet aber nicht statt. Im Gegenteil, sie wird durch den Religionsunterricht konterkariert, wenn die Kinder am Vormittag lernen ,Die Gläubigen sind die Guten, die Ungläubigen sind verdammt‘, und am Nachmittag machen wir mit ihnen Integration. Vor allem aber braucht der Staat mündige, kritische Bürger, die gegen Populismus gefeit sind, und nicht gläubige Herdentiere.“ Glauben vor Vernunft Genau das definiere das Schulorganisationsgesetz als Aufgabe der Schule: Kinder zum „selbstständigen Urteil“ und zu kritischer Reflexion zu befähigen: „Das kann im Religionsunterricht nicht geschehen. Dort passiert, was jede Religion macht: Glauben vor Vernunft.“ Darum dürfe Ethikunterricht auch „nicht von theologisch ausgebildeten Lehrern erteilt werden, da sonst ein Religionsunterricht ‚durch die Hintertüre‘ zu befürchten ist“, warnt Engelmayer: „Diese Lehrer sind ja auf die Vermittlung von monotheistischem, autoritärem Gedankengut eingeschworen und kommen daher in einen unlösbaren Gewissenskonflikt, wenn sie ihrer Aufgabe als Ethiklehrer nachkommen.“ Nur in einer „Übergangsphase“ sollten auch Religionslehrer Ethik unterrichten dürfen – ausschließlich nach Absolvierung eines entsprechenden Studiums, sagt Engelmayer, der als Vater von vier Kindern Religionsunterricht „von einem De-facto-Ethikunterricht bis hin zur reinen Indoktrination“ erlebt hat.
Was den konfessionellen Religionsunterricht betreffe, seien die Freidenker „natürlich für die Abschaffung“, sagt der Ethik-Aktivist: „Man muss der Tatsache ins Auge schauen, dass wir nicht mehr in den 1920er-Jahren leben, als 96 Prozent der österreichischen Bevölkerung katholisch waren. Wir sind heute ein pluralistisches Land, dem muss auch die Schule Rechnung tragen.“ Laut Statistik Austria lag der Anteil der Katholiken in der österreichischen Bevölkerung 1951 bei 89 Prozent, 2016 hatten 59 Prozent römisch-katholisches Bekenntnis. Der Umgang mit Religionen spiele da eine besondere Rolle, meint Engelmayer und wünscht sich „endlich klare Fronten in Österreich statt Wischiwaschi. Einer der wichtigsten Werte in einem Staat ist Säkularität. Die Trennung zwischen Kirche und Staat tut allen Staaten gut.“
Das bedrohe niemandes Religionsfreiheit: „Religionsfreiheit ist ein ganz hohes Gut, aber es ist nicht Aufgabe des Staats, das Recht der Eltern auf Religion zu unterstützen oder den konfessionellen Bekenntnisunterricht zu finanzieren.“
Was also tun mit dem Religionsunterricht? „Religion als Freifach am Nachmittag, zu Hause oder überall sonst, aber nicht in der Schule“, sagt Engelmayer. „Kein bekenntnisorientierter Religionsunterricht im öffentlich-rechtlichen Schulwesen. Die Schule ist nicht zur Missionierung von Kindern da, sondern zur Vermittlung von Wissen und Werten auf möglichst objektiver Basis. Die Kinder haben das Recht auf die beste Information, die verfügbar ist.“ Das dann oft gebrachte Gegenargument einer vielleicht problematischen Islamvermittlung in der „Hinterhofmoschee“ kontert der Freidenker zum einen mit Verweis auf die Studie des Islamwissenschafters Mouhanad Khorchide von 2008, wonach 22 Prozent der Islamlehrer Demokratie und Islam für unvereinbar halten, und Engelmayer sagt: „Wenn es vor allem von muslimischer Seite heißt: ‚Dann haben wir ja keine Kontrolle‘, dann ist das Armutszeugnis Nummer eins. Wenn eine Religion dauernd kontrolliert werden muss, damit sie keine Gefahr ist, dann muss man überhaupt dagegen ankämpfen und sehr, sehr kritisch werden gegen Religion.“
Ein weiteres Argument der Religionsverfechter ist noch der Verweis auf das Konkordat von 1933, in dem auch der Religionsunterricht verankert ist. Diesen völkerrechtlichen Staatsvertrag könne man wie jeden anderen auch auflösen, meint Engelmayer: „Man sollte einmal schauen, wie viele Gesetze aus den 1930er-Jahren noch in Kraft sind.“ Vor allem aber führt der Sprecher der Konfessionsfreien pädagogische Gründe für den Ethikunterricht für alle Kinder ins Treffen.
Eine Unterstützerin der Ethik-Plattform ist Direktorin, „und ihr geht immer das Herz zu, wenn die Kinder bei der Einschulung in verschiedene Ecken gestellt werden – orthodox, muslimisch, katholisch et cetera“, erzählt er: „Religion kann ein trennendes Element sein, das muss man offen aussprechen dürfen. Ethik- und Religionskundeunterricht würde den Kindern das nötige Religionswissen zum gegenseitigen Verständnis verschaffen. Er verbindet die Kinder, statt sie zu trennen. Ethik ist ein permanenter Integrationsprozess, darum brauchen wir das Fach. Es ist integrations- und demokratiepolitisch dringend notwendig.“
Lisa Nimmervoll, 5.4.2017 – derstandard.at/2000055371850/Ueberparteiliche-Plattform-kaempft-fuer-Ethikunterricht-fuer-alle – 2017-04-17, 09.33