Kinderarmut, hohe Schulkosten, Ganztagsschule
Ganztagsschule? Geldmangel ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabu. Selten sprechen wir über das, was wir uns nicht leisten können. Noch seltener darüber, wie Armut die Lebensbedingungen von Kindern beeinflusst Eigentlich sollte es im Interesse unserer Gesellschaft liegen, Kindern ein sorgenfreies Leben und die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dennoch ist Kinderarmut ein strukturelles Problem.
Denn es liegt weder am Unvermögen der Kinder noch an dem ihrer Eltern, wenn sie von Armut betroffen sind – und Betroffene gibt es gar nicht so wenige.
52.000 Kinder leben heute in Österreich in Haushalten, die die Wohnung nicht angemessen warm halten können. Aufgrund der prekären finanziellen Lage der Eltern bleibt es 171.000 Kindern verwehrt, einmal im Monat Freunde zu sich nach Hause einzuladen; 234.000 Kinder müssen in überbelegten Wohnungen leben, 223.000 Kinder wohnen in feuchten und schimmligen Zimmern. Oft bedeutet das auch, einen notwendigen Arztbesuch aus Kostengründen aufschieben zu müssen. All das hat in weiterer Folge negative Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg der Kinder – Armut nimmt Zukunft.
Gratisschule – aber trotzdem kostenintensiv Glücklicherweise ist das heimische Schulsystem formal kostenfrei. Dennoch sind es die Begleitkosten, die einen erheblichen Anteil an den Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern haben. Laut einer jüngsten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Sora gemeinsam mit der Volkshilfe Österreich kennt jeder Zweite der Befragten (54 Prozent) mindestens ein Kind, das aus finanziellen Gründen nicht bei mehrtägigen Schulausflügen mitfahren kann. Wenn ein Kind nicht an schulrelevanten Veranstaltungen wie Skikursen teilnehmen kann, erlebt es das als ein Nichtdazugehören. Das ist mit Scham und Stigmatisierung verbunden. Und es führt dazu, dass der Bildungsweg von Kindern aus armutsbetroffenen Familien ein kürzerer ist als jener von Kindern aus wohlhabenden Haushalten. Drei von vier Personen geben in dieser Umfrage auch an, dass die Schulkosten in den letzten Jahren weiter gestiegen sind. Gerade für Familien in einer finanziell angespannten Situation ist der Schulbesuch eine extreme Belastung: 855 Euro zahlen Eltern pro Kind und Schuljahr für Schulausflüge, Unterrichtsmaterial, Nachhilfe et cetera pro Jahr im Durchschnitt, so eine Studie der AK Wien. Diese finanzielle Belastung durch den Schulbesuch ist eine Hürde für den weiteren Bildungsweg der Kinder. Je weiter der Bildungsweg geht und je höher der angestrebte Ausbildungsgrad ist, umso höher sind die Kosten für die Familien. Dadurch sinken die Chancen von Kindern aus ärmeren Haushalten auf den Besuch einer höheren Schule.
Die Einführung einer flächendeckenden und verschränkten Ganztagsschule kann hier Abhilfe schaffen. Die verschränkte Ganztagsschule bedeutet, dass sich Unterricht, Lern- und Freizeit abwechseln. Das wirkt sich positiv auf die Lernmotivation und die Entwicklung sozialer Kompetenzen aus. Es hilft bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die Eltern werden bei der Hausaufgaben- und Lernbetreuung entlastet, mehr Freizeit ohne Lernstress wird möglich. Die Zahlen der AK-Studie zeigen auch, dass diese Schulform die Notwendigkeit von Nachhilfekurse deutlich reduziert. Die Ganztagsschule ist somit eine Schulform, die den Bildungsfortschritt aus der kostenpflichtigen Freizeit in die kostenfreie Schule zurückverlagert. Das spart den Eltern in Österreich laut einer anderen AK-Studie einen Großteil der Nachhilfekosten von rund 110 Millionen Euro pro Jahr. Allen Kindern unabhängig von ihrer Herkunft Zukunftschancen zu sichern ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe und Verantwortung. Will man eine reiche Gesellschaft sein, sollte man sich Armut nicht mehr leisten. (Klaus Baumgartner, Georg Hubmann, 5.9.2017)
Klaus Baumgartner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Jahoda-Bauer-Instituts in Linz. Julia Greiner ist Sozialwissenschafterin und Institutsmitarbeiterin ebendort.
derstandard.at (2017-09-06, 23.00)
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