Sorge Arbeit ohne Lohn – Unbezahlte Sorgearbeit ist nach wie vor weiblich

Feministische Konzepte wie Arbeitszeitverkürzung oder bedingungsloses Grundeinkommen setzen darauf, Sorge Arbeit ins Zentrum gesellschaftspolitischer Diskussionen zu stellen

Während die Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens 2.0 noch via Crowdfunding Geld für die Umsetzung ihres Vorhabens im kommenden Jahr sammeln, sorgen die Inhalte des Volksbegehrens bereits für Diskussionen. Teilzeit für alle, konkret eine 30-Stunden-Woche für die unselbständig Beschäftigten, lautet eine der insgesamt 15 Forderungen:

Die Aktivistinnen erhoffen sich angesichts des hohen Frauenanteils bei der Teilzeitbeschäftigung eine gerechtere Verteilung von unbezahlter Arbeit. Gemeinsam mit der Forderung nach einem gesetzlich verankerten Mindestlohn von 1.750 Euro brutto stößt die arbeitsmarktpolitische Vision vor allem bei Konservativen und Liberalen auf Ablehnung. Von „sozialistischer Symptombekämpfung“ spricht etwa Neos-Frauensprecherin Claudia Gamon in einer Aussendung. Sie befürchtet eine Verschlechterung der Situation von Frauen am Arbeitsmarkt. Einer entsprechenden Neufassung des Arbeitszeitgesetzes haftet aber ohnehin ein utopischer Charakter an.

Seit der Einführung der 40-Stunden-Woche im Jahr 1975 ist es in Österreich zu keiner weiteren Verkürzung der Wochenarbeitszeit gekommen. Aktuell ringen die Sozialpartner um eine Einigung in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung. Einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit begegnen indes nicht nur VertreterInnen der ArbeitgeberInnen mit Skepsis. Auch im Geschwerkschaftsbund setzt man auf alternative Rezepte. Renate Anderl, Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des ÖGB, ist eine Diskussion über die Arbeitszeitverkürzung gerade für Arbeitnehmerinnen zwar „sehr wichtig“, eine 30-Stunden-Woche – bei vollem Lohnausgleich – sieht sie allerdings als zu niedrig angesetzt. Reformen müssten zudem branchenspezifisch passieren, ist Anderl überzeugt.

Schon jetzt schreiben Kollektivverträge unterschiedliche Wochenstunden vor, im Handel und im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe beträgt die Normalarbeitszeit etwa nicht 40, sondern 38,5 Stunden pro Woche.

Auch einen vereinfachten Zugang zur sechsten Urlaubwoche für Langgediente und damit mehr Erholungszeiten wünscht sich Anderl. „Mehr Urlaub ist schließlich auch eine Form der Arbeitszeitverkürzung“, sagt die ÖGB-Vizepräsidentin.

Individuelle Arbeitszeitverkürzung

Dass die feministische Diskussion Forderungen wie eine radikale Arbeitszeitverkürzung und ähnliche Konzepte zur Neugestaltung von Erwerbsarbeit hervorgebracht hat, ist nicht zuletzt der weitgehenden Ausblendung von Sorge Arbeit im politischen Mainstream geschuldet. Unbezahlte Sorgearbeit ist – wie Studien wiederholt belegen – nach wie vor weiblich.
In Österreich arbeitet rund die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit und setzt damit auf eine individuelle Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. „Wir haben in Österreich eine riesige Geschlechterkluft am Arbeitsmarkt. Frauen arbeiten in Teilzeit, um Beruf und Familie zu vereinbaren“, sagt Claudia Sorger, die am Wiener Institut L&R Sozialforschung zu Arbeitszeit und Geschlecht forscht. Sorger hält eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung mit Lohn- und Personalausgleich aus mehreren Gründen für sinnvoll. Die vorhandene Arbeit könne angesichts anhaltend hoher Arbeitslosigkeit auf einen größeren Personenkreis aufgeteilt, unbezahlte Arbeit gerechter verteilt sowie die Produktivität und Zufriedenheit der Beschäftigten erhöht werden.

Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung schätzt allerding auch Sorger für wenig realistisch ein. „Es fehlen die politischen AkteurInnen, die das vorantreiben – obwohl eine Arbeitszeitverkürzung auch aus gleichstellungs- und gesundheitspolitischen Gründen längst überfällig wäre“, sagt die Soziologin.

Das Ganze der Arbeit

Eine Steigerung der Produktivität und ein möglicher weiterer Verlust von Arbeitsplätzen stehen indes im Zentrum einer anderen Debatte. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 werden aktuell die zu erwartenden Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt diskutiert – wobei die Care-Frage abermals ausgeklammert bleibt. „Mit der Digitalisierung können wir in der Tat pro Arbeitsstunde mehr Autos produzieren, aber wir können nicht immer schneller Menschen beraten, heilen, versorgen, ohne dass es zu großen Qualitätsverlusten kommt“, sagt Gabriele Winker, Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg. Menschliche Arbeit in der Güterproduktion werde künftig weiter zurückgehen, Care-Arbeit aufgrund demographischer und gesellschaftlicher Veränderungen proportional zunehmen. „Schon heute erfordert der Care-Bereich bereits zwei Drittel aller entlohnten und nicht entlohnten Arbeitsstunden. Diese Verschiebung wird aber nicht diskutiert, da Sorgearbeit nach wie vor den Frauen zugeordnet wird und unsichtbar bleibt“, sagt die Sozialwissenschaftlerin.
Winker fordert nicht nur eine radikale Reduktion der Erwerbsarbeitszeit, sie sieht auch das bedingungslose Grundeinkommen als geeignetes Konzept auf dem Weg zum „guten Leben für alle“. Das seit Jahrzehnten diskutierte Modell des leistungslosen Einkommens ist auch unter Feministinnen umstritten. Ein Abbau von staatlicher Infrastruktur im Gesundheits- und Bildungswesen wird von seinen Gegenerinnen ebenso befürchtet wie eine Verschärfung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: Frauen würden für ihre unbezahlte Arbeit entlohnt und somit dem Arbeitsmarkt endgültig fernbleiben.

Grundeinkommen-AktivistInnen stellen sich indes gegen eine Bewertung der unterschiedlicher Arbeitsbereiche: Das „Ganze der Arbeit“ müsse in den Diskurs miteinbezogen, Erwerbsarbeit ebenso wie Sorgearbeit, zivilgesellschaftliches und politisches Engagement als zentrale Teilbereiche des menschlichen Daseins anerkannt werden. Während liberale Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens die Streichung sämtlicher Sozialleistungen vorsehen und vorrangig auf einen Abbau von Bürokratie setzen, betonen Feministinnen die Bedeutung staatlicher Einrichtungen.

„Der Kampf um ein bedingungsloses Grundeinkommen muss immer mit der Forderung nach dem dringend benötigten Ausbau von Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäusern und Altenpflegeheimen mit ausreichendem und gut bezahltem Personal verbunden werden. Über eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums wäre das auch finanzierbar“, ist Gabriele Winker überzeugt.

Auch in Organisationen wie der Armutskonferenz wird das bedingungslose Grundeinkommen seit vielen Jahren diskutiert. Menschen mit Armutserfahrung wären durch diese Form der Grundsicherung nicht zuletzt davon befreit, Behörden ihre Bedürftigkeit nachzuweisen. „Ich bin für ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil es Menschen den Druck nehmen würde, vom AMS jeden Job annehmen zu müssen, und Menschen generell ohne den ständigen finanziellen Druck wesentlich freier leben und über ihre Zukunft entscheiden können“, sagt dazu Regina Amer, die in der Plattform „Sichtbar werden“ der Armutskonferenz und im Wiener Armutsnetzwerk aktiv ist.

Auch wenn in der Schweiz bereits über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt wurde und in einzelnen europäischen Staaten ähnliche Modelle bereits auf lokaler Ebene getestet werden – eine konkrete Umsetzung erscheint gegenwärtig weit weniger realistisch als die 30-Stunden-Woche. Befürworterinnen sehen die Utopie dennoch ganz pragmatisch – und teilen diesen Zugang mit den Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens 2.0. Als BürgerInnenbewegung möchten sie nicht nur Diskussionen anstoßen, es gehe auch darum, „Druck aufzubauen, sagte Sprecherin Teresa Havlicek bei der Pressekonferenz Ende April. (Brigitte Theißl, 21.5.2017) – derstandard.at – 2017-07-27, 14.40